Kirchenlatein für Fortgeschrittene

Durch die hohe Standardisierung der Schreibweisen der Amtsträger in den Kirchenbüchern der katholischen Pfarreien sind die oft gleichen Floskeln auch für Laien und Nicht-Lateiner nach kurzer Einarbeitung gut lesbar.

  • natus et renatus … er wurde geboren und getauft
  • nata et renata … sie wurde geboren und getauft
  • nata et ejusdem mensis renata … sie wurde geboren und im gleichen Monat getauft

Dabei helfen Latein-Glossare oder Latein-Einführungen, wie sie beispielhaft in dieser Website verlinkt sind und angeboten werden. >>> Kirchenlatein Einführungen und Glossare. Als Software-Werkzeuge dienen Übersetzungshilfen wie „GOOGLE Latein xyz-lateinischer Ausdruck“ um „xyz“ pragmatisch zu übersetzen.

Kirchenlatein Besonderheiten

Die Niederschriften im Kirchenbuch wandelten sich im Laufe der Jahrhunderte entsprechend der Entwicklung der deutschen Sprache, oder beinhalteten öfter Sonderfälle der kirchlichen Handlung. Dabei wurden andere Wörter / Floskeln unterschiedlich zum Standard des 20. Jahrhunderts verwendet.

Syntax und Semantik im Wandel

Bei der Transkriptiondem Abschreiben der Latein-Einträge“ von manchmal eigentümlichen oder schwer lesbaren Handschriften des kirchlichen Amtsträgers (der Syntax) oder bei der Übersetzung die Bedeutung richtig auszulegen (die Semantik) kann es Herausforderungen geben, wenn die Einträge in Frühneuhochdeutsch ca. 1350 -1650 oder danach in Neuhochdeutsch mehrere hundert Jahre alt abgefasst wurden, wo Wortwahl und Satzaufbau der Floskeln in Kirchenbüchern anders gehandhabt wurden als vor 100 Jahren. Siehe anhängendes Beispiel 1.

Sonderfälle der kirchlichen Handlung

Geburt und Taufe, Trauung, Tod und Beerdigung wurden und werden vom Geistlichen vorbereitet, durchgeführt und „routiniert“ dokumentiert, sind dadurch leichter les- und übersetzbar.

Es gab aber in früherer Zeit Sonderfälle der kirchlichen Handlungen, wenn etwa der Geistliche das Ehepaar nicht verheiratete, sondern nur auf die Ehe vorbereitete und die beabsichtigte Ehe nach strengem Procedere dreifach öffentlich machte, die Trauung selbst aber von einem anderen Priester später in einer anderen Pfarrei vollzogen wurde. Siehe anhängendes Beispiel 2.

Unterstützung und Tools für Fortgeschrittene

In diesen Fällen gibt es für die Familienforschung Hilfestellung in Vereinen oder Institutionen wie Archiven. Zum Beispiel gibt es im Stadtarchiv Bingen ein regelmäßiges Zeitfenster einer „Sütterlinstube“ oder „Kirchenlatein Unterstützung“ zu mitgebrachten Texten oder Dokumenten.

Ein mächtigeres Werkzeug als „GOOGLE Latein xyz“ ist das Tool ChatGPT: Es hilft besonders gut beim Erkennen der Sinnzusammenhänge Latein/Deutsch durch seine Zusatzinformationen über Transkription und Übersetzung hinaus mit Bedeutung und Kontext, wie im Beispiel 2.

Beispiel 1

Kirchenlatein Syntax 17. Jahrhundert

Katholische Pfarrei St. Clemens Trechtingshausen, Taufbuch 1610.
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Das Taufbuch 1610 beginnt mit der Geburt/Taufe von Peter Hanß. Der Text ist in der neuhochdeutschen Sprache (Nhd. oder Nhdt.) der Neuzeit im 17. Jahrhundert verfasst.

St. Clemens Tre. Kirchenband 1610-1669, Taufbuch 1610, Geburt Peter Hanß. Zur Vergrößerung anklicken.

Deskribierung von Petra Tabarelli: Anno 1610 „Burckhard Hanses vnnd Margarethes, Eheleutte, ein Sönlein getaufft, Peter genant, Herr Peter von Bornheim, Kaufmann und Ratsherr zu Cölln …. Ulrich Pfraumbaum, Schultheiß ein substituierender Taufpate, Datum des 3 t[en] 8bris

Übersetzung von Petra Tabarelli: Das Söhnlein von Burckhard Hanss und Margarethe, Eheleute, wurde auf Peter getauft. Taufpate ist der Kölner Kaufmann und Ratsherr Peter von Bornheim. Der konnte aber nicht anwesend sein und wurde durch Schultheiß Ulrich Pfraumbaum vertreten, Datum 03.10.1610.

Beispiel 2

Kirchenlatein Ehevorbereitung

Kirchliche Handlung „Dreifache Bekanntmachung und Vorbereitung der zukünftigen Eheleute, sowie deren feierliche Übergabe an den Priester einer anderen Pfarrei, der die Trauung vollzieht“

Benutztes Werkzeug: ChatGPT, es hilft besonders gut im Erkennen der Sinnzusammenhänge Latein/Deutsch.

Transkription und Übersetzung: Petra Tabarelli, Stadtarchivarin Bingen am Rhein, Angebot regelmäßiger Zeitfenster „Sütterlin-Stube oder Lateinübersetzung“ von mitgebrachten Texten / Urkunden nach Abstimmung.

Quelle: Kath. Pfarrei St. Clemens Trechtingshausen, Ehebuch 1819, Ehevorbereitung Jakob Braun & Kunigunde Himiob. Zur Vergrößerung anklicken.

Transkription

29 lava(?) Junii praemissis de more Tridentini tribus proclamationibus ego infrascriptus dimisi honestum adolescentem Jacobum Braun Johannis Braun civis in Eltz in Domino defuncti et Anna Müller conjugum filium legitimem cum Cunegunde Himiob ex Lorg Philippi Himiob civis in Lorg et Magdalenae Geissel conjugum filia legitima a P. R. D. parocho Spor_ae(?) inthronisandum. Ita testor J. Nauth parochus

Übersetzung

Am 29. Tag des Monats Juni entließ ich, der Unterzeichnete, nach vorheriger Bekanntmachung durch drei Proklamationen gemäß den Vorschriften des Konzils von Trient den ehrbaren jungen Mann Jakob Braun, den ehelichen Sohn des verstorbenen Johann Braun, Bürger in Eltz, und Anna Müller, Eheleute, zusammen mit Kunigunde Himiob aus Lorch, der ehelichen Tochter von Philipp Himiob, Bürger in Lorch, und Magdalena Geissel, Eheleute, zur Amtseinsetzung [an/bei] den ehrwürdigen Herrn Pfarrer von Spor_a(?). So bezeuge ich es. J. Nauth, Pfarrer.

Bedeutung (ChatGPT)

Der Text beschreibt einen kirchlichen Verwaltungsakt im Jahr 1819: Der Pfarrer J. Nauth bestätigt, dass er Jakob Braun und Kunigunde Himiob nach den kirchlichen Vorschriften, konkret den Vorgaben des Konzils von Trient (1545–1563), für ihre Ehe vorbereitet hat. Dies beinhaltete die Bekanntgabe der Eheabsicht (dreimalige Proklamation) und die Entlassung der Brautleute aus ihrer jeweiligen Pfarrei, um die Trauung in einer anderen Gemeinde durchzuführen. Das „inthronisandum“ bezieht sich symbolisch auf die bevorstehende feierliche Amtshandlung der Eheschließung.

Kontext (ChatGPT) 

Im 19. Jahrhundert waren solche kirchlichen Formalitäten üblich, besonders die dreimalige Proklamation („Aufgebot“), um mögliche Ehehindernisse zu klären. Die Entlassung der Brautleute aus ihrer Heimatpfarrei war notwendig, wenn die Hochzeit in einer anderen Pfarrei stattfinden sollte. Hier scheint es sich um eine geregelte und feierliche Übergabe an den Pfarrer von Sporbach zu handeln, der die Ehe schließen würde.

Übersetzung im Detail

„praemissis de more Tridentini tribus proclamationibus“

  • praemissis: Partizip Perfekt Passiv, Ablativ Plural, Neutrum; „den vorher bekanntgemachten“.
  • de more: Präposition mit Ablativ; „nach dem Brauch“.
  • Tridentini: Genitiv Singular; „des [Konzils von] Trient“.
  • tribus proclamationibus: Ablativ Plural; „durch drei Proklamationen“.

Wörtlich: „nach dem Brauch des Konzils von Trient durch drei Proklamationen bekanntgemacht“.

„ego infrascriptus“

  • ego: Personalpronomen, Nominativ Singular; „ich“.
  • infrascriptus: Partizip Perfekt Passiv, Nominativ Singular, Maskulinum; „der unten Geschriebene“ (als Eigenschaft von „ich“).

Wörtlich: „ich, der unten Geschriebene“.

„dimisi honestum adolescentem Jacobum Braun“

  • dimisi: Verb, Indikativ Perfekt Aktiv, 1. Person Singular; „ich entließ“.
  • honestum: Adjektiv, Akkusativ Singular, Maskulinum; „ehrbaren“.
  • adolescentem: Substantiv, Akkusativ Singular, Maskulinum; „jungen Mann“.
  • Jacobum Braun: Eigenname, Akkusativ Singular, Maskulinum; „Jakob Braun“.

Wörtlich: „ich entließ den ehrbaren jungen Mann Jakob Braun“.

„Johannis Braun civis in Eltz in Domino defuncti“

  • Johannis Braun: Eigenname, Genitiv Singular, Maskulinum; „des Johann Braun“.
  • civis: Substantiv, Nominativ Singular, Maskulinum (Apposition zu „Johannis Braun“); „Bürger“.
  • in Eltz: Ortsangabe, Ablativ Singular (wo?); „in Eltz“.
  • in Domino: Präposition mit Ablativ; „im Herrn“ (kirchlicher Ausdruck für „verstorben“).
  • defuncti: Partizip Perfekt Passiv, Genitiv Singular, Maskulinum (Bezug auf „Johannis Braun“); „verstorbenen“.

Wörtlich: „des Johann Braun, eines Bürgers in Eltz, der im Herrn verstorben ist“.

„et Anna Müller conjugum filium legitimem“

  • et: Konjunktion; „und“.
  • Anna Müller: Eigenname, Ablativ Singular, Femininum (Bezug auf „conjugum“); „Anna Müller“.
  • conjugum: Substantiv, Genitiv Plural; „der Eheleute“.
  • filium: Substantiv, Akkusativ Singular, Maskulinum; „Sohn“.
  • legitimem: Adjektiv, Akkusativ Singular, Maskulinum; „ehelich“.

Wörtlich: „und Anna Müller, [den] ehelichen Sohn der Eheleute“.

„cum Cunegunde Himiob ex Lorg“

  • cum: Präposition mit Ablativ; „mit“.
  • Cunegunde Himiob: Eigenname, Ablativ Singular, Femininum; „Kunigunde Himiob“.
  • ex Lorg: Präposition mit Ablativ; „aus Lorch“.

Wörtlich: „mit Kunigunde Himiob aus Lorch“.

„Philippi Himiob civis in Lorg et Magdalenae Geissel conjugum filia legitima“

  • Philippi Himiob: Eigenname, Genitiv Singular, Maskulinum; „des Philipp Himiob“.
  • civis: Substantiv, Nominativ Singular, Maskulinum (Apposition zu „Philippi Himiob“); „Bürger“.
  • in Lorg: Ortsangabe, Ablativ Singular; „in Lorch“.
  • et: Konjunktion; „und“.
  • Magdalenae Geissel: Eigenname, Genitiv Singular, Femininum; „der Magdalena Geissel“.
  • conjugum: Substantiv, Genitiv Plural; „der Eheleute“.
  • filia: Substantiv, Nominativ Singular, Femininum; „Tochter“.
  • legitima: Adjektiv, Nominativ Singular, Femininum; „eheliche“.

Wörtlich: „die eheliche Tochter des Philipp Himiob, eines Bürgers in Lorch, und der Magdalena Geissel, Eheleute“.

„a P. R. D. parocho Spor_ae inthronisandum“

  • a: Präposition mit Ablativ; „an“.
  • P. R. D.: Abkürzung; möglicherweise Parochus Reverendus Dominus („ehrwürdiger Herr Pfarrer“).
  • parocho: Substantiv, Ablativ Singular, Maskulinum; „dem Pfarrer“.
  • Spor_ae: Ortsangabe, Genitiv Singular; „von Spor_a“.
  • inthronisandum: Gerundivum, Akkusativ Singular, Neutrum (Prädikativ zum Subjekt „Jacobus“); „zur Inthronisation“.

Wörtlich: „zur Inthronisation an den ehrwürdigen Herrn Pfarrer von Spor_a“.

„Ita testor J. Nauth parochus“

  • Ita: Adverb; „so“.
  • testor: Verb, Indikativ Präsens Aktiv, 1. Person Singular; „ich bezeuge“.
  • J. Nauth: Eigenname; „J. Nauth“.
  • parochus: Substantiv, Nominativ Singular, Maskulinum; „Pfarrer“.

Wörtlich: „So bezeuge ich, J. Nauth, Pfarrer“.

offene Fragen

(1) War Eltz eine eigenständige Ortschaft bei der Burg Eltz? Denn immerhin ist der gute Mann ein Bürger.

(2) Wo war diese andere (Pfarr-)Gemeinde, in die das Ehepaar nun zog? Mutmaßlich nahe Eltz. Ich bin mir bei „Spor“ sehr sicher. Dann kommt ein Buchstabe, den ich sonst im Text nicht mehr finde. Am Schluss steht ein „a“ mit einem Häkchen – Abkürzung für das -e, das ein Genitiv aus dem Wort macht (Maria -> Mariae/Mariä). Aber ich finde um die Burg Eltz keinen Ort, der mit „Spor“ beginnt. Ich habe auch nach Wüstungen, also nicht mehr existierenden Siedlungen geschaut, aber da findet man online keinen perfekten Überblick. Petra Tabarelli